Reise

Ich sitze am Fenster

1000 Kilometer von Sambia nach Namibia. Im unklimatisierten Mini-Bus. Da kann man sich schon mal Gedanken machen – über das Leben, das Glück und all die Erwartungen.

Um fünf Uhr morgens gehört der Busbahnhof in Lusaka nicht den Bussen, sondern den Menschen. Auf leeren Reissäcken liegen sie in den Haltebuchten und auf den Bussteigen, zugedeckt mit bunten Tüchern. Auf dem Weg zu meinem Schalter hat sich ein Mann um die siebzig ausgestreckt. Dicht neben ihm schlafen zwei Frauen und in deren Mitte ein Baby, das von beiden warmgehalten wird.

Ruckartig setzt sich der Mann auf, als hätte ein innerer Wecker geklingelt, und steht in Anzug und Krawatte da. Wäre er mir hier in Lusaka, der Hauptstadt Sambias, irgendwo auf der Straße begegnet, ich wäre nie darauf gekommen, dass er am Busbahnhof geschlafen hat. Auch die beiden Frauen wachen nun auf und schälen sich aus ihrem Nachtlager. Das Baby guckt verschlafen in die Welt, ohne zu schreien und fängt auch nicht an, als eine der Frauen es wickelt und es dann der anderen in den Schoß legt, um Reissäcke und Tücher in einer großen Plastiktasche zu verstauen.

Bald liegt keiner mehr auf den Gängen. Ich gehe zu meinem Schalter und möchte ein Ticket nach Divundu kaufen. 1000 Kilometer sind es bis zu der kleinen Stadt im Westen des Caprivi-Zipfels in Namibia. Der klimatisierte Reisebus ist ausgebucht und der nächste geht in vier Tagen. Im Minibus aber ist noch Platz. Für 250 Kwacha, rund 35 Euro, bin ich dabei. Um sechs Uhr soll es losgehen.

Der Minibus fährt nicht am Busbahnhof ab, sondern gegenüber, auf der anderen Straßenseite. Ich habe noch eine halbe Stunde Zeit, doch um herumzuschlendern, habe ich zu viel Gepäck. Außerdem bin ich die einzige Weiße weit und breit und damit die Lieblingszielperson für etliche Helfer. Sie bieten einem an, beim Ticketkauf behilflich zu sein, den Weg zum Bus zu zeigen, das Gepäck zu tragen. Ich war davor gewarnt worden, mein Gepäck aus der Hand zu geben, da manche es erst gegen ein Trinkgeld, das ihnen zusagt, wieder zurückgeben. Und doch lief ich gestern nach meiner Ankunft am Terminal erst einmal meinem Gepäck hinterher, weil es mir beim Aussteigen aus der Hand genommen worden war.

Auf der anderen Straßenseite stehe ich herum und warte darauf, dass es sechs wird. Gestern hatte sich die Hitze des Tages bis spät in den Abend gehalten – so, dass mir die morgendliche Kühle fast frostig vorkommt. Wie schön wäre es jetzt, nicht allein zu reisen. Das Warten würde sich nicht wie Warten anfühlen. Doch die, die ich mir nun herbeiwünsche, haben feste Jobs, Familie oder andere Vorstellungen vom Reisen.

Eine Frau stellt sich mit ein paar Metern Abstand neben mich. Sie dürfte ungefähr dreißig sein, so wie ich. Bald warten drei Männer mit uns. Ich frage, wohin sie fahren. Doch die Namen der Orte sagen mir nichts und ich kann sie mir auch nicht merken. Für ein Gespräch scheint es noch zu früh zu sein.

Und eigentlich bin ich auch ganz froh darüber, dass ich durch ein bisschen Smalltalk nicht gleich zum Zentrum der Aufmerksamkeit werde. Vor ein paar Monaten in Namibia, auf meiner ersten Afrikareise, habe ich viel Aufmerksamkeit bekommen. Aber oft nicht die, die ich wollte. Ein Campingplatz-Kassierer sagte mir nach wenigen Minuten, dass er mich liebt und heiraten will, und als ich mich auf einem Markt für einen Armreifen interessierte, schlangen mir gleich ein Dutzend Frauen ihren Schmuck um die Arme. Beleidigt nahmen sie ihn wieder ab, als ich nur den einen kaufen wollte, und sagten: »Wir haben auch Hunger.«

Wie habe ich mich gefreut, als mich dann ein Mann in meinem Alter auf der Straße ansprach, um einfach nur mit mir zu plaudern. Die ersten zehn Minuten wirkte das jedenfalls so. Dann erzählte er mir von seinen Kindern und wie teuer das Leben in der Stadt sei. Schließlich kaufte ich ihm zwei Bergkristalle ab, die ich nicht haben wollte, und ärgerte mich einen Tag später noch einmal, als ich ihn hinterm Steuer eines Angeberautos wiedersah.

Nicht alle meine Begegnungen mit Einheimischen waren so. Doch immer wieder hatte ich das Gefühl, auf meinen Geldbeutel reduziert zu werden. Nur weil ich weiß war, glaubten sie, dass ich auch reich war. Dass ich einer jener Touristen war, die für eine Lodge-Übernachtung mühelos hinblättern, was sie im Monat verdienen. Ich ging auf Abstand, obwohl ich es nicht wollte, ließ mich nicht mehr auf jedes Gespräch ein.

Es wird halb sieben, doch kein Fahrer ist in Sicht. Schließlich kommt ein junger Mann, fegt den Müll aus dem Bus und schrubbt ihn von innen und außen. Es wird sieben. Der Bus wird nochmal geputzt und nochmal und nochmal. Mittlerweile stehen ein Dutzend Mitfahrer um ihn herum. Ein Anhänger wird herangerollt und mit unserem Gepäck beladen. Nun wird der Fahrer angerufen. Wir haben also nicht auf ihn gewartet, sondern darauf, dass der Bus voll wird.

Es ist halb acht, als es losgeht. Ich steige zuletzt ein, um an der Schiebetür zu sitzen. Da ist etwas mehr Platz für die Beine, ich sitze am Fenster und kann zwischen den Kopfstützen nach vorne schauen. Auf den leeren Platz neben mir stelle ich meinen Tagesrucksack, daneben sitzt die Sambierin in meinem Alter, neben ihr ein älterer Herr in Anzug, wie der, der auf dem Gang im Busbahnhof schlief.

Aus den Lautsprechern kommt gut gelaunte Trommelmusik, allerdings zwei Tick lauter als die Boxen hergeben. Wir lassen Lusaka hinter uns und fahren bald auf einer staubigen Schlaglochpiste durch Savannenlandschaft. Am Straßenrand stehen Lehmhütten mit Strohdächern, dazwischen liegen Plastiktüten und Plastikflaschen. Es ist wieder so heiß, dass es mir unwahrscheinlich vorkommt, vor wenigen Stunden noch gefröstelt zu haben. Wo sich meine Oberschenkel berühren, bildet sich Schweiß, der sich zu Tropfen formt und meine Beine herunter läuft. Ich falle in eine Serie von Tausend-Sekunden-Schlaf.

Der Bus hält in einem Dorf und ein Mann mit breiten Schultern um die vierzig steigt ein. Er riecht nach altem, sehr altem Schweiß, so dass man bei halber Strecke einatmen gleich wieder ausatmen möchte. Er setzt sich hinter mich und bohrt mir seine Knie in den Rücken.

Nach der nächsten Pinkelpause setzt er sich neben mich. Er habe keinen Platz hinter mir, sagt er. Ich rutsche also auf und stelle meinen Rucksack auf meine Füße. Auch ich stoße jetzt mit den Beinen an, weil ich sie nicht mehr seitlich wegdrehen kann. Ich klappe meine Schultern nach vorne, damit sie nicht an die anderen Schultern gepresst werden. Statt aus dem Fenster schaue ich jetzt auf eine Kopfstütze. Bei jedem Einatmen strömt mir der Geruch vom Schweiß meines Nachbarn in die Nase. Wie würden die vielen nächsten Stunden vergehen?

Lesen kann ich vergessen, weil der Bus zu sehr ruckelt, Hörbuch hören kann ich vergessen, weil die Musik zu laut ist, und meine Versuche, ein Gespräch zu entfachen, sind nach der ersten Frage ins Leere gelaufen. Also falle ich auf mich zurück und denke über mein Leben nach.

Vor ein paar Wochen bin ich dreißig geworden. Und obwohl ich eigentlich ganz zufrieden war, fühlte es sich merkwürdig an. Der dreißigste Geburtstag ist ein Aussichtsturm, von dem man auf sein Leben schaut und darüber urteilt, ob man es schon weit genug geschafft hat. Man sieht von dort auch seine Freunde, die im gleichen Alter ein oder zwei Kinder haben. Zwar möchte ich am liebsten davonlaufen, wenn die zu schreien anfangen. Trotzdem überkommt mich jedes Mal ein bisschen Neid, wenn sie als junge Familie nach Dänemark in den Urlaub fahren. Sie wirken so angekommen auf mich.

Mein Leben dagegen ist im Schwebezustand. Das Studium habe ich gerade erst abgeschlossen, ich bin ungebunden, wie man so schön sagt, alles steht mal wieder auf Anfang. Aufregend einerseits. Ohne fragen zu müssen, kann ich monatelang verreisen oder für einen Job nach Buxtehude ziehen. Doch eigentlich wäre es auch schön, wenn ich mit jemandem gemeinsam Pläne schmieden könnte. In ein Land gehen etwa, in das ich mich nicht getraut hätte; in eine Stadt ziehen, auf die ich nicht gekommen wäre. Doch da ist niemand. Und so stehe ich da, mit dreißig, und habe wenig mehr vorzuweisen als mich selbst und ein paar Rennräder, die sich über die Jahre hinweg bei mir angesammelt haben.

Meine Gedanken machen mich müde, vielleicht sind es auch die verbrauchte Luft und der Staub, der in meinen Augen brennt. Ich lege den Kopf auf die Knie und stütze mich mit der Hand am Vordersitz ab, damit ich nicht dagegenknalle, wenn der Fahrer wegen eines Schlaglochs bremst. Anschnallgurte gibt es nicht.

Als ich aufwache, fragt mein Sitznachbar auf Englisch: »Gut geschlafen?« – »Ja, danke«, sage ich, auch wenn es gelogen ist. Ein Kaffee wäre jetzt gut und dabei ein wenig aus dem Fenster zu starren. Aber ich freue mich auch über die Frage. Wohin ich fahre, will er wissen. Er fährt nach Walvis Bay. Die Industriestadt an der namibischen Küste ist nochmal über 1000 Kilometer weiter als mein Ziel. »Wie lange dauert es?«, frage ich. »Wahrscheinlich bis morgen um diese Zeit«, sagt er ungerührt. Mehr als ein Tag als Ölsardine? Wenn er allerdings bis zur Endstation fährt, bedeutet das auch für mich keine baldige Befreiung aus der Konserve.

Dann schaut er wieder aus dem Fenster und ich luge durch das Loch in der Kopfstütze auf die Straße, um die Schlenker vorauszusehen, die wir wegen der vielen Schlaglöcher fahren. Dabei kommt das fragenstellende Unbehagen wieder. Wo ist die Zeit geblieben? Hätte ich im Leben schneller sein können? Nach dem Abitur habe ich gejobbt, bin gereist, habe herausgefunden, dass ich doch nicht Schauspielerin werden will, habe Segeln lehren gelernt, bin als Fahrradkurierin durch Berlin gesaust, habe Geographie studiert. Nichts davon bereue ich. Und doch sind es Jahre, die mich älter gemacht haben. Eine junge Mutter kann ich nicht mehr werden.

Wieder überfällt mich die Müdigkeit. Als ich meine Schlafposition eingenommen habe, tippt mir meine Nachbarin auf die Schulter und hält mir ihre Handtasche als Kopfkissen entgegen. Sie gibt ein gutes Kopfkissen ab, auch weil ich mich über die Geste so freue. Als ich aufwache, halten wir wegen einer Polizeikontrolle. Man will unsere Pässe sehen.

Im Pass des Fahrers finden die Polizisten keinen Stempel von der Einreise nach Sambia. Sie verschwinden mit dem Dokument in einer Hütte, die auch ein Obststand sein könnte, der Fahrer läuft hinterher, redet auf sie ein. Als klar wird, dass es länger dauert, steigen die ersten aus, um ihren Beinen Urlaub zu verschaffen.

Die Savanne ist hier grüner – nicht so licht und ausgedörrt wie vor ein paar Stunden noch. Unweit der Straße stehen wieder ein paar Lehmhütten. Ein Mädchen mit vielen Zöpfen bindet sich mit einem Tuch ein Baby auf den Rücken und ein Junge kommt mit einer Palette Eiern und Orangen herbei. Mein Sitznachbar kauft Orangen und verteilt sie unter den Mitfahrern. Auch mir gibt er eine. Sie ist saftig und süß, so eine habe ich in Deutschland selten gegessen. Außerdem schmeckt sie hier bei diesem Dorf besonders gut, wie ein frisch gezapftes Bier in der Brauerei besonders gut schmeckt oder Bergkäse in den Bergen.

Nach einer halben Stunde geht es weiter. Wir sind jetzt spät dran. Die Grenze schließt um 18:30 Uhr. Ich frage meinen Sitznachbarn, wie er heißt. Nach ein paar Versuchen kann ich seinen Namen etwa richtig aussprechen. Aber kurz darauf habe ich ihn schon wieder vergessen. Er hat eine Frau und drei Kinder. Sie hält Haus und Kleider sauber. Er ist dafür zuständig, dass genug Essen und schöne Kleidung da sind. So ist das in Sambia. In seinem Dorf jedenfalls. Jeder hat seine Aufgabe. Ich beneide ihn ein bisschen, auch wenn ich nicht mit ihm tauschen will.

Eine Aufgabe haben, das klingt gerade verlockend für mich. Man erledigt sie, kann kurz stolz sein und vielleicht ist sogar jemand dankbar. Nur: Welche Aufgabe könnte das sein? Geld verdienen? Glücklich sein? Die Welt besser machen? Da, wo ich herkomme, sind an die Stelle von Aufgaben diffuse Erwartungen gerückt – es gibt tausend Wege, sie zu erfüllen oder dabei zu scheitern.

Bevor ich tiefer in meine Gedanken abtauche, fragt mein Sitznachbar, was ich in meiner Freizeit mache. Rennrad fahren, sage ich, und reisen. Er habe keine Freizeit, sagt er und lacht. Aber er hat einen Job, der ihm Spaß macht: Auto fahren. Seines Jobs wegen fährt er auch nach Walvis Bay. Er soll einen Sattelschlepper aus Großbritannien nach Sambia fahren. Aus diesem Grund reisen fast alle der zwölf Männer hier bei uns im Minibus. Oft fahren sie die Schlepper auch von Namibia nach Südafrika. Das ist billiger, als sie ums Kap zu schiffen, sagt er.

Meine Sitznachbarin packt ein Käse-Baguette aus und bietet mir ein Stück an. Ich lehne ab – ich will den Afrikanern ja nicht ständig ihr Essen wegessen. Mein Sitznachbar erklärt mir, dass man in Sambia immer sein Essen teilt. Dann fragt er nach meinem Mann und meinen Kindern. Dass man mit dreißig keine Kinder hat, ist in Sambia ungewöhnlich. Es kommt mir plötzlich wie ein Luxusproblem vor, dass ich noch nicht den richtigen Mann dazu gefunden habe. Aber er grinst mich an und sagt: In Sambia wird eine Frau erst ab 35 komisch angeschaut, wenn sie noch keine Kinder hat. Wir lachen. Ich bin froh, dass er sich neben mich gesetzt hat.

Wir nähern uns der Grenze. Die Straße hat jetzt noch mehr Schlaglöcher. Einige nehmen die Hälfte der Straße ein. Der Fahrer bremst dann von 80 auf 20 Stundenkilometer. Mein Sitznachbar schaut nun immer wieder auf die Uhr. Wenn wir es nicht rechtzeitig schaffen, wird er noch einen halben Tag länger brauchen.

Die Beamten auf sambischer Seite lassen uns noch rein. Ein Schalter ist offen, ansonsten ist es dunkel. Als alle einen Ausreisestempel haben, rennen wir zum Grenzgebäude auf namibischer Seite. Es ist 18:24 Uhr. Die Beamten meckern, dass wir jetzt erst kommen. Es dauert lange, bis alle ihre Personalien ins Formular eingetragen haben. Vielleicht können sie nicht richtig lesen und schreiben. Muss man das nicht, wenn man einen Führerschein macht?

Als wir aus dem Gebäude kommen, nimmt der Fahrer gerade die Gepäckstücke vom Hänger. Vielleicht wird das immer so gemacht. Vielleicht sind wir durch unser Zuspätkommen aber auch verdächtig, weil sie denken, dass wir auf Durchwinken spekuliert haben. Unser Gepäck wird durchsucht, eine Dreiviertelstunde später geht es weiter.

Zum Glück, kein Übernachten mit fünfzehn Leuten im Minibus. An der nächsten Tankstelle halten wir zur Pinkelpause. Ich habe Lust auf ein Bier, aber ich weiß nicht, ob sich das schickt. Also kaufe ich mir Chips und biete zwanghaft allen davon an. Mein Sitznachbar kommt mit einer Flasche Windhoek Draught an und fragt, ob ich eins mittrinken würde, wenn er mir eins kauft. Habe ich das etwa ausgestrahlt? Ich kaufe mir selbst eins, ich weiß nämlich nicht, wie lange er für 15 Namibische Dollar, etwa 1,30 Euro, Auto fahren muss.

Im Bus macht er mein Bier mit seinem auf und öffnet seins mit den Zähnen. Wir trinken es ein bisschen heimlich, weil wir nicht wissen, ob wir es dürfen. Das kalte Bier schmeckt hervorragend nach so vielen Stunden Bus. Nur noch 300 Kilometer. Jetzt fährt der Mann, der vorher Beifahrer war – oder ist es ein Junge? Ich schätze ihn auf 15.

Als ich mein Bier halb ausgetrunken habe, kommt eine Polizeikontrolle in Sicht. Der alte und der junge Fahrer wechseln während der Fahrt die Plätze und schnallen sich an. Passkontrolle. Alles aussteigen. Wieder werden alle Koffer und Rucksäcke vom Hänger genommen und durchsucht. Meine Mitfahrer sind genervt und wollen einsteigen, bevor ihnen die Erlaubnis gegeben wird. »We have time«, sagt der Beamte und betont jedes Wort. Als mein Rucksackinhalt ausgepackt wird, schauen alle, was ich so dabeihabe. Nach einer halben Stunde dürfen wir wieder in den Bus. Ein paar Kilometer weiter kommt eine Station zur Tierseuchenbekämpfung. Wieder alle aussteigen, Pass zeigen und über eine Chemiematte laufen.

Die letzten Kilometer vergehen schnell, zu schnell irgendwie. Mein Sitznachbar sagt, es fühle sich komisch an, dass wir uns wohl nie wieder sehen werden im Leben. »Wenn du ausgestiegen bist, wird es so sein, als wärst du tot.« Er sagt das wie eine Feststellung, nicht wie einen ungelenken Versuch, an meine Telefonnummer zu kommen. Ja, wahrscheinlich werden wir uns nie wieder sehen. So wie die meisten Menschen, die man auf Reisen kennenlernt, und die einen vielleicht besser kennen, als manch langjähriger Bekannter.

Als ich aussteige, umarmen wir uns. Ich rieche noch mal seinen muffeligen Schweiß. Aber ich finde es nicht mehr schlimm, er hat nun eine andere Bedeutung. Auch die anderen verabschieden sich von mir, wünschen alles Gute. Ihr Lachen fühlt sich an, als komme es von Herzen. Als ich mich noch einmal umdrehe, stehen alle Männer in einer Reihe und pinkeln. Die Nacht liegt vor ihnen. Sie haben erst die Hälfte ihrer Reise geschafft.

Erschienen in Das Magazin (April 2017)